Unsere Clase de Español, Inicial Uno, die uns nun seit beinahe vier Wochen alltags begleitet, umfasst dreizehn Menschen, fünf Männer und acht Frauen. Und unsere charmante und lebhafte profesora, Marina.
Da wären aus Japan: Tomomi und Sohhei. Tomomi ist meine ganz stille Banknachbarin. Zu Beginn war sie furchtbar verjetlagt, nun blüht sie auf. Heute wollte sie unsere Bleistifte vergleichen, ein Vertrauensbeweis. Sie hat ganz viel gelernt in den vier Wochen, geht jeden Tag in die Bibliothek und lebt bei einer spanischen Gastfamilie. Sie studiert Kunst - sie malt.
Sohhei ist ein japanischer office clerk von Ende Dreißig, klug und angenehm. Er muss sehr erfolgreich sein, hat den Spanienaufenthalt als incentive von seiner Firma bekommen und lebt normalerweise in Tokio in einer rätselhaft großen Wohnung.
Die größte Gruppe im Kurs besteht, natürlich, aus Russen und -innen. Entschuldigung, Karina, du bist aus der Ukraine, aber das vergisst jeder sofort wieder. Der größere Anteil von ihnen sind mit viel Geld und entsprechender Kleidung ausgestattete hoffnungsvolle Talente, die in Wohnungen wohnen, die ihre Eltern in Strandnähe gekauft haben, und die auch im Klassenraum die Sonnenbrille erst nach einer Weile abnehmen. Sie wollen zum Beispiel Visagistin in Los Angeles werden oder wissen es noch nicht so. Eine Ausnahme ist Daria, die Medizin studiert hat. Ihre Eltern haben sich gerade in Benidorm niedergelassen und wollen sie in der Nähe haben. Daria möchte in Spanien als Ärztin arbeiten. Iraklii, der Halbgeorgier, ist Programmierer und CEO einer Firma, die Apps entwickelt. Er möchte vielleicht in Alicante noch „Business“ studieren. Iraklii ist verpeilt und gutmütig. Ihre jeweiligen Väter sind alle „Businessmen“, nicht genauer spezifiziert.
Marthe, die große Norwegerin aus Oslo, und die kleine Rania aus Algerien haben sich gleich angefreundet. Marthe, 18 Jahre alt, hat in dieser Woche Besuch von ihrer Mutter, strahlt und verteilt braunen norwegischen Käse zum Kosten. Ranias Familie scheint aus einem riesigen Haus in Algier komplett nach Spanien übersiedelt zu sein. Rania wirkt wie ein verwöhntes Kind und lernt so ein wenig vor sich hin. Marthe schickt Küsschen quer durch den Raum zu Rodion. Rodion, der kleine russische Brat, flirtet zurück. Marina kämpft dagegen an und will Aufmerksamkeit für die Verbkonjugationen. Natürlich verliert sie, so wie alle Lehrerinnen.
Unserer Einladung zum Kaffeetrinken nach dem Kurs haben sich nun bereits häufiger zwei besonders angenehme und anregende compañeros de la clase angeschlossen: An aus Korea, Sohn eines Industriellen, der jeden Tag mit einem Tretroller (ohne E-Antrieb) über das weitläufige Unigelände daher kommt, und Jagoda, die zarte gebildete Germanistik- und Anglistikstudentin aus Warschau. An studiert hier, muss die Credits nach Hause schicken, und genießt das freie Leben in Spanien. Jagoda besucht ihre Mutter, die ein Jahr Erasmus in Alicante macht und ein zweites Mal studiert, diesmal Spanisch. Der kleine Bruder ist auch in Alicante und geht hier zur Schule. Finanziert wird das kleine linguistische Familienunternehmen vom Vater in Warschau, auch er ein Businessman natürlich, der Bauprojekte in Afrika hat. Wenn wir zu viert sind, sprechen wir Englisch, mit Jagoda allein Deutsch. Sie ist sehr ehrgeizig und möchte das unbedingt. In der Cafeteria wurde sie heute auf Polnisch bedient, das gab große Verwirrung und am Ende Gelächter. Unser Spanisch reicht leider nur für eher uninteressante Themen: Familie, Wohnung, Essen, Uhrzeit, Tagesablauf. Wobei die kleinen individuellenVorträge dann doch wieder kulturell interessant sind, siehe oben.
Ich sitze nun dort im Haufen dieser sehr jungen Leute und beobachte vor allem Marina, die Lehrerin: gerade 51 geworden, sehr viel jünger wirkend, jeden Tag im bunten Kleid und gut gelaunt.
Sie ist Halbengländerin mit zwei Pässen und hat zwei kleine Söhne, acht und vier. Von Oscar, dem Jüngeren, erfahren wir viel, vor allem sein morgendliches Gebrüll „No quiero“ (ich will nicht) wird als ein Beispiel für die Verbkonjugationen genutzt.
Marina bleibt bis auf Katastrophenfälle konsequent einsprachig und nutzt ihr Alltagsleben als Quelle für landeskundliche Informationen. Für uns ist das sehr interessant, für Herzchen verschickende aufstrebende Jünglinge aus Nishni Nowgorod vielleicht weniger (wir haben hier auch das schöne regelmäßige Verb „watsapear“ gelernt). Ich mache nun selbst von der anderen Seiter her die Erfahrung, dass man im Sprachunterricht eigentlich alles von den Objekten des Lehrerbemühens erfragen kann, wenn man nur dran bleibt. Dass ich als erwachsene Lernende frustriert bin, weil ich nur Dummkram sagen kann.
Ich erinnere mich an meine vielen Schülerinnen, meistens älter als ich damals, die mit größter Anspannung im Englisch-Anfangsunterricht saßen, weil sie den für ihre Altenpflegeausbildung auf einmal brauchten, die manchmal weinten vor Kopfschmerzen und Frustration.
Wir weinen nicht. Zum Glück ist unser Sprach-Unterricht ein Luxus, ein Bonustrack, den wir genießen, der uns eine neue Welt eröffnet, so wie das Sprachen immer tun.
Carmen, unsere Kellnerin in der Crèperia, hat uns gestern Farben abgefragt. Und Besteck. Sie fand, wir machen das gut. Muy bien.